Veröffentlicht im Auftrag von Hoffmann & Campe für BAUHAUS passt!
Photographs by Olivier Hess • olivierhess.com
Wenn es um das Sammeln von Altmetall geht, ist Paul Firbank ein wahrer Meister – mit Leib und Seele und der richtigen Spürnase. Nichts liebt er mehr, als auf Schrotthalden, Flohmärkten und in Second-Hand-Läden nach Metallteilen und High-Tech Komponenten zu stöbern, um sie dann zu demontieren und neu zusammenzusetzen. Wer seine Werkstatt im südostenglischen Küstenstädtchen Margate betritt, ist erst einmal stumm vor Staunen. Da sind Flugzeugmotoren, Teile von Rolls Royce Düsentriebwerken aus den zwanziger Jahren, Stapel von Feuermeldern. Ventile und Zylinderköpfe von Motorrädern und andere entsorgte Maschinenteile. Altertümliche Wagenheber, Öl- und Bierfässer, große und kleine Blechtafeln, das gigantische Vorderrad einer Boeing 747. „Davon habe ich insgesamt 23 gekauft, als der regionale Flughafen 2014 geschlossen wurde“, erzählt er.
Bei näherem Hinsehen bemerkt man die Wohn-Accessoires, die aus diesem Sammelsurium entstanden sind: Aus einem Lycoming R-680 Neunzylinder-Sternmotor wurde ein Kronleuchter. Feuermelder und Rennwagen-Komponenten wurden zu Hängelampen. Ein Beistelltisch mit Holzplatte hat ein Gestell aus Land Rover- Bremsscheiben und Nockenwellen. Wanduhren
entwickelten sich aus Rumpf und Fensterrahmen eines stillgelegten Airbus. Es sind erstaunliche Unikate: zeitgenössische Klassiker, entstanden durch ein Zusammenspiel von solidem Handwerk und jener Leidenschaft, die sich nicht darum kümmert, wie kommerziell erfolgreich sie sein werden. Ihre spezielle Ästhetik ist die von Zeitlosigkeit und Speed – gepaart mit dem Gefühl von Präzision und Vertrauen, das moderne Technik vermitteln kann. „Geordnetes Chaos“, nennt Paul Firbank das Szenarium in seiner 167 Quadratmeter großen Werkstatt. “Sie ist gerade groß genug, um als Spielplatz für eine Person zu taugen“, sagt er schmunzelnd. „Für mich ist das alles hier wie ein riesiger Lego-Baukasten“. Er wischt für den Gast ein grünes Ledersofa ab. „Wenn Sie hier etwas anfassen, sind Sie schnell so staubbedeckt wie ein Schornsteinfeger“. Selbst setzt er sich auf eine Art Balkenwagen, auf den er die Pleuelstange eines Flugzeugs und einen Traktorsitz (Jahrgang 1962) montiert hat. „Das war ganz einfach und hat nicht lange gedauert“. Die schlichte Lederkappe, die er zu Jeans und grauem T-Shirt trägt, ist offenkundig ein Teil von ihm, ebenso wie die Tätowierungen auf seinem rechten Arm. „Es sind Tikis“, erklärt er. „Polynesische Halbgötter, die vor allem Schutz symbolisieren“.
Paul Firbank ist Jahrgang 1978 und wuchs im Ost-Londoner Stadtteil Mile End auf. Wie alles, was er macht, ist auch seine Biografie die einer kontinuierlichen Neuerfindung. „Ich habe im Laufe der Zeit ziemlich viel ausprobiert“, bestätigt er. Nach der Schulzeit hielt er es an einer Kunstakademie in Buckinghamshire nur sechs Monate aus. „Eine akademische Ausbildung ist nicht so mein Ding“. Auch die Ausbildung als Klempner war für ihn unbefriedigend. Dem folgten - sich manchmal überschneidend – Kurse im Schweißen, WIG-Schweißen von Aluminium, Verputzen, Maschinenbau, eine Schulung in der Kunst des Tätowierens. Einzige Konstante war die Liebe zu alten Motorrädern, die er ständig umrüstete. „Auf diese Weise habe ich entdeckt, dass ich gerne mit Metall arbeite und wieviel Spaß es macht, auf Märkten und Müllhalden nach Ersatzteilen zu suchen“. 2006 lernte Paul Firbank seine Frau, die Künstlerin Lizzie Gossling, kennen. Dank ihrer Kontakte begann er, Bilderrahmen aus Aluminium zu machen - für renommierte Galerien und so bekannte Künstler wie Damien Hirst. Und mit ihr zusammen entstand die Idee, Lampen aus Altmetall zu entwerfen, die er 2011 während des London Design Festivals unter dem Firmennamen „The Rag and Bone Man“ vorstellte. „You are onto something“, kommentierte Lizzie, als seine 30 Lampen in zwei Tagen ausverkauft waren. „Du bist auf der richtigen Spur“.
Lizzie sollte recht behalten. Der Erfolg auf der Designmesse führte prompt zu neuer Kundschaft. In diesem Fall zu den Spitzenköchen Fergus Henderson und Nuno Mendes, die Paul Firbank mit dem Design von Lampen und Barstühlen beauftragten. Der aus Singapur stammende Unternehmer Loh Lik Peng, Besitzer der Boutique-Hotelgruppe „Unlisted Collection“, gab ihm gleich Arbeit für ein ganzes Jahr. Zu anderen Kunden gehören die Getränke-Firma „Monster Energy“ und die Motorrad=Veranstaltungsserie „World Motocross“, für die er Trophäen entwarf. 2006 zog Paul Firbank mit seiner Frau nach Margate. „Ich kannte die Stadt. Sie ist für mich wie ein roher Diamant. Erstens ist es wunderbar, so nahe am Meer zu leben. Zweitens sind die Second-Hand-Läden hier fantastisch“. Viel Zeit, „einfach“ zu stöbern, hat er nicht mehr. Heutzutage sucht er „eher gezielt“ nach Komponenten, die er für seine jeweiligen Aufträge braucht. Lizzie Gossling kümmert sich währenddessen um das Marketing des florierenden Unternehmens. „Wir sind die ideale Partnerschaft“, sagt er dazu. „Wir tauschen Ideen aus und liefern uns gegenseitig Anregungen“.
Wie kam es zum Firmennamen „The Rag and Bone Man“? „Nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Blues- und Soul-Sänger“, antwortet Paul Firbank. „Also, der Schrotthandel ist natürlich das älteste Recyclinggewerbe der Welt. Schon die Römer schmolzen ihre Bronzestatuen wieder ein, um daraus neue Messer, Schalen, Waffen und andere Gegenstände zu gießen“. 1588 gewährte Elizabeth I den Gassenjungen das Privileg, Stoffreste zu sammeln, um daraus Papier zu machen, fügt er hinzu. „Daraus entwickelten sich die Lumpensammler, also ‚Rag and Bone Men‘, die durch Straßen und Gassen zogen, um Alttextilien und später auch Metallabfälle und Gerümpel aller Art einzusammeln“. Im 21. Jahrhundert sind solche Sammler weitgehend durch Trödelmärkte ersetzt worden, aber der Schrotthandel floriert wie eh und je.
Dazu hat Paul Firbank eine klare Meinung. „Er ist eine Antwort auf die wachsende Abfallkrise, ohne Zweifel. Stahl kann übrigens ohne Qualitätsverlust recycelt werden. Darüber hinaus geht es mir darum, Geschichte, Handwerk und Technik zu bewahren und sie wieder neu aufleben lassen“. Er zeigt auf einen seiner vielen Schätze – das Düsentriebwerk de Havilland Goblin aus den vierziger Jahren. „Es ist einfach fantastisch konstruiert, wie das Maschinenwerk eines Raumschiffs. Warum würde man eine solche Meisterleistung entsorgen?“ Es schüttelt ihn geradezu. „Dieses Triebwerk entstand im Kopf des Designers, der es auf Papier übertragen hat, bevor es Computer gab. Leider haben wir diese Kreativität weitgehend verloren“. In einer anderen Ecke der Werkstatt steht ein weiteres Juwel – ein Rummelplatz-Karussell aus den zwanziger Jahren, dessen Fahrgastsitze wie Bananen geformt sind. Was hat er damit vor? „Wahrscheinlich werde ich nie etwas damit machen. Das Karussell ist einfach nur schön“.
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